„Der 20. Juni war ein schwarzer Tag für die Natur"

CHRONOLOGIE EINER ROTMILANVERGIFTUNG

<

MÄRZ 2018

Mehrfach konnte ich ein Rotmilanpaar beobachten, welches einen waldrandnahen Bereich als Ruhe- und Schlafplatz zu nutzen schien. Im direkten Umfeld der Sichtungen waren mir drei mögliche Brutplätze bekannt.


APRIL 2018

Am 18.04. gelingen dann mehrere Bildnachweise, die regelmäßige An- und Abflüge von Rotmilanen auf ein unbesetztes Kolkrabennest belegen. Für Kolkrabe sprach neben der Bauform die typisch verbaute Schafswolle. Die Kohlraben brüteten bereits keine 100 mtr. von dem zukünftigen Rotmilanbrutplatz entfernt. Kurz darauf konnte ich ebenfalls den Brutnachweis für den Rotmilan belegen. Eine entsprechende Meldung an das LLUR erfolgte am 30.04.2018.


MAI 2018

Im Rahmen regelmäßiger Kontrollgänge schien sich ein normaler Brutverlauf abzuzeichnen. Mindestens ein Milan war zu jeder Zeit bei der Brut oder in Nestnähe sichtbar. Da ich in direkter Nähe zu dem Brutplatz wohne, etablieren sich die Flugrouten und Flugzeiten des jagenden Milanmännches recht zuverlässig.


JUNI 2018

Erstmalig konnte ich einen Jungvogel im Nest sichten. Um die Aufzucht der Jungen nicht weiter zu stören, führte ich nur kurze Kontrollen durch. Dies war - neben der nun bestehenden und ausgeprägten Bindung - an diesem Brutplatz auch eher unproblematisch, da das Nest von einem Waldweg gut einsehbar gewesen ist. Je nach Sichtachse auf den Brutplatz, bin ich bis zum 17.06. von maximal 3 Jungvögeln ausgegangen.

Am 20.06. konnte ich auf einem abendlichen Kontrollgang lediglich den Kopf eines Jungvogels entdecken. Bei der näheren Kontrolle direkt unter dem Baum habe ich drei Jungvögel am Boden gefunden, zwei bereits tot. Der Rettungsversuch des schwachlebenden, dritten Jungvogels scheiterte leider. Anhand der Fundsituation der toten Rotmilane wurde schnell erischtlich, das diverse Symptome als auch die Fundsituation eindeutig für eine Vergiftung sprachen.

Da im weiteren Verlauf keine weiteren Anflüge von adulten Milanen auf das Nest zu verzeichnen waren, wurde der verbleibende vierte Jungvogel am 22.06.2018 auf Anweisung des LLUR durch einen Baumkletterer aus dem Nest geholt und in den Wildpark Eekholt verbracht. Durch Hans Wirth erfolgte dann zeitnah eine Nachsuche im unmittelbaren Umfeld, die ergab das bereits vor 2018 Rotmilane vor Ort gebrütet haben. Dies konnte u.a. durch Federfunde, einem typischen Nistteller des Rotmilan, sowie einem Unterschnabel belegt werden. Der Fund des Unterschnabels war dann ebenfalls ein Indiz, das mindestens ein Rotmilan vor 2018 in dem gleichen Areal ums Leben gekommen ist.

Am 26.06. wurde in der Nähe des Brutplatzes ein weiterer, ausgewachsener Rotmilan tot unter einem der genutzten Sitzbäume gefunden. Es erfolgte erneut Anzeige, auf Anweisung LLUR wurde dieses Tier nach Neumünster zur weiteren Untersichtung verbracht.


JULI 2018

Mit Datum vom 04.07. bestätigt das Leibnitz Institut im Untersuchungsprotokoll die Vergiftung der Rotmilane mit Parathion (E 605).

Auszug aus dem Untersuchungsprotokoll:

• Sektionsnummer SH 159, Geschlecht männlich, Ernährungzustand gut, Gewicht 890 gr. - Todesursache: Vergiftung (Parathion)
• Sektionsnummer SH 160, Geschlecht weiblich Ernährungzustand sehr gut, Gewicht 850 gr. - Todesursache: Vergiftung (Parathion)
• Sektionsnummer SH 161, Geschlecht weiblich Ernährungzustand sehr gut, Gewicht 990 gr. - Todesursache: Vergiftung (Parathion )

Interessant an dem Untersuchungsprotokoll ist der detailliert, festgestellte Mageninhalt der Jungvögel, welcher Aufschluß über potentielle Giftköder geben könnte. Leider ist mir das Testdesign des Leibnitz Institut nicht bekannt. Dementsprechend kann ich auch nicht beurteilen, ob organisches Material außerhalb eines mgl. Testdesigns überhaupt in dem Bericht erwähnt worden wäre. Das mag nur bedingt relevant sein, man sollte dies aber berücksichtigen bzw. wissen, bevor man versucht einen solchen Bericht zu interpretieren.

Parallel wurde der überlebende Rotmilan im Wildpark Eekholt aufgepäppelt, sein Jagdinstinkt in einer Voliere trainiert und es kommt zu einem kleinen Happy-End mit der Auswilderung des Greifvogels am 27.07.2018.

Idealerweise hatte Hans Wirth vor der Auswilderung den jungen Rotmilan an den Stoßfedern mit einem Filzstift gekennzeichnet, so das ich diesen anhand der Kennzeichnung eindeutig und letztmalig am 05.08.2018 im Flug am Blunkerbach identifizieren konnte.

.





DISKUSSION

Wie ich zwischenzeitlich erlernen durfte, wird Greifvogelverfolgung - oder wie in diesem Fall die gezielte Vergiftung - nur selten entdeckt, erkannt und noch seltener aufgeklärt. Wie allgegenwärtig sie ist, verbleibt mehrheitlich daher unbekannt. Mit der Veröffentlichung dieses Falles zirkulierten auch diverse Theorien durch die Medien, die zum damaligen Zeitpunkt sicherlich ein wenig ad-hoc formuliert worden sind.

So gibt es bspw. die Theorie, das ein weiteres Rotmilanbrutpaar ebenfalls der heimtückischen Giftattacke zum Opfer gefallen sein könnte. Beide Brutplätze lagen nur knapp 1200 mtr. auseinander. Zum 07.06.2018 - also 10 Tage vor den Totfunden - ist dort ein Rotmilanbrutpaar samt Nachwuchs während der Brutzeit spurlos verschwunden.

Bei genauerer Betrachtung erscheint es mir wahrscheinlicher, das der Nachwuchs an diesem Brutplatz eher prädiert worden ist. Es war kaum zu übersehen, das in diesem Revier ein Uhu und ein Habicht aktiv gewesen sind. Seit 2018 habe ich in diesem Areal über ein dutzend Rupfungen des Habicht finden können und mindestens drei vom Uhu. Das Portfolio der Rupfungen sind Tauben, Amseln, Rabenvögeln, Waldschnepfen, Sperber, Waldkauz und Mäusebussard.

Die Fundsituation ( Nachwuchs aus dem Nest verschwunden, Altvögel nicht in der Nähe ) ist analog zu diversen anderen Brutplätzen, die ich seitdem beobachtet habe. Entscheidend beim Nachweis dieser Theorie wäre dann allerdings die Bereitschaft, ein Gebiet großflächiger abzusuchen, was ich erst zu einem späteren Zeitpunkt durchgeführt habe. Auch in 2020 haben Habicht und Uhu in dem Revier um den Blunkerbach erfolgreich gebrütet.

Ebenfalls die vermeintliche Behauptung, das vergiftete - und wie in diesem Fall hochtoxisch kontaminierte - Greifvögel eher selten gefunden werden, weil sie von anderen Raubjägern "entsorgt" werden, stehen im direkten Widerspruch zu anderen Beobachtungen, bei denen vergiftete Greifvögel von Raubjägern konsequent verschmäht werden. In diesem Fall übrigens auch, da der tote, adulte Rotmilan doch sehr wahrscheinlich der Einträger der giftigen Dosis war. Sein Todeszeitpunkt sollte ziemlich analog zu dem der Jungvögel liegen, also ca. 5 Tage vor seinem Fund. Nachweisbar war die Vergiftung leider nicht, da die Verwesung zum Zeitpunkt der Untersuchung angeblich zu fortgeschritten war; was ja auch eine Aussage ist. Der tote Rotmilan war selbst frisch tot nicht interessant für andere Raubjäger. Gelingen Funde von verfolgten und getöteten Greifvögeln nicht eher selten, da es kaum Menschen gibt, die regelmäßig und systematisch Reviergänge durchführen ?

Auch die Jahre 2019 & 2020 haben in den Kreisen Plön & Segeberg erneut belegt, das es sich hier um keinen Einzelfall handelt. Ob die Verfolgung von Rotmilanen mit dem derzeitigen Ausbau der Windkraftenergie in Schleswig Holstein im Zusammenhang steht, könnte naheliegend sein. Es könnte aber auch ebenso naiv sein zu glauben, das dies der alleinige Grund für die Verfolgung geschützter Arten sei.

Im Rahmen unserer Brutbestandserfassungen Mäusebussard haben wir innerhalb unseres Untersuchungsgebietes um Tensfelder Au auch die Rotmilanbrutplätze in 2019 & 2020 mehrheitlich identifizieren können. Selbstverständlich ist die kurze Beobachtungsdauer als auch das Revier keine Referenz für den allgemeinen Entwicklungsbestand dieser Art.

Interessant war es aber zu beobachten, wie fragil diese Art generell erscheint und schon unter natürlichen Voraussetzungen wie beispielsweise Brutabbruch oder auch Prädation quantitativ dezimiert dieses Brutrevier wieder verlässt. Berücksichtigen wir dann noch die prozentuale Anzahl der Jungvögel, die das erste Jahr im Zug nicht überleben, so ist es doch sehr angebracht sich um diese Art Sorgen zu machen.

In 2019 & 2020 brütete übrigens wieder der Kolkrabe in dem Nest der vergifteten Rotmilane aus 2018.





Beitrag Spiegel TV vom 21.09.2020